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Radical Democracy and Art Institutions

Donnerstag, 15. Juli 2021, 19:00 Uhr

Podiumsdiskussion
Onlineprogramm
In englischer Sprache

Diskussion mit Vasyl Cherepanyn (Leiter des Visual Culture Research Center, Kiew), Oliver Marchart (Professor für Politische Theorie, Universität Wien), Nora Sternfeld (Professorin für Kunstpädagogik, Hochschule für bildende Künste Hamburg) und Dana Yahalomi (Leiterin von Public Movement, Tel Aviv)

Bereits seit geraumer Zeit wird der politische Zustand, in dem sich die westlichen Demokratien befinden, von unterschiedlichen Denker*innen als „postdemokratisch“ bezeichnet: Die Beteiligungsmöglichkeit der Bevölkerung an der Demokratie sei größtenteils auf das periodische Wählen von Regierungsvertreter*innen beschränkt, die wählbaren politischen Parteien würden die Bevölkerung nicht überzeugend repräsentieren, das Regierungsgeschäft werde Technokrat*innen überlassen. Angesichts dieser Entwicklungen haben sich vermehrt Stimmen erhoben, die nach einer Radikalisierung von Demokratie rufen. Der Anspruch der sogenannten Radikalen Demokratie ist simpel und doch komplex in der Umsetzung: Die Radikale Demokratie ist als ein emanzipatorisches Projekt zu verstehen, das über den Aufruf zu mehr Partizipation hinausgeht, als ein Projekt der Demokratisierung der existierenden liberalen Demokratien. Die Radikale Demokratie ist zugleich ein Projekt der Radikalisierung demokratischer Prinzipien, namentlich der Volkssouveränität, Freiheit, Gleichheit und Solidarität, sowie der Ausweitung des Spielraums dieser Prinzipien auf Sektoren außerhalb des traditionellen Geltungsbereichs von Politik. Das Kunstfeld stellt einen solchen Bereich dar. Als ein Terrain, auf dem Allianzen etabliert und ständig neu verhandelt werden, auf dem Vertreter*innen gesellschaftlicher Diskurse darüber in Konflikt miteinander geraten, wie der Mensch über die Welt denkt, und als Organisationen, die eine Bildungsfunktion übernehmen, sind Kunstinstitutionen per se politisch. Die vom Neuen Berliner Kunstverein initiierte Diskussion Radical Democracy and Art Institutions geht von der Prämisse aus, dass Kunstinstitutionen zur Demokratisierung von Demokratie beitragen und dass sie als politische Akteurinnen eine wichtige Rolle im Dienste des Projekts Radikaler Demokratie erfüllen können.

Wie lässt sich eine radikaldemokratische Kunstinstitution denken? Oliver Marchart, Nora Sternfeld, Vasyl Cherepanyn und Dana Yahalomi diskutieren die Frage, wie eine radikaldemokratische Kunstinstitution organisiert werden und welchen Zweck sie erfüllen sollte. Inwiefern können Kunstinstitutionen den politischen Status quo in Frage stellen, welche politischen Erwartungen sollte das Publikum an das künstlerische Feld stellen? Welche unterschiedlichen Funktionen kann eine Kunstinstitution im Projekt Radikaler Demokratie übernehmen? Welche Rolle nehmen die Künstler*innen im Rahmen einer solchen radikaldemokratischen Institution ein? Die Teilnehmer*innen des Gesprächs debattieren über die Funktion von Kunstinstitutionen als sozialer Treffpunkt und als „safe spaces“, in denen Menschen Konflikte austragen und Allianzen bilden können, sie sprechen über die Idee des Museums als „Schlachtfeld“, auf dem unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte in Konflikt geraten, über die Interdependenz zwischen Staat und Kunstinstitutionen und inwieweit die politischen Rahmenbedingungen und ideologischen Konflikte die Funktionsweise von Kunstinstitutionen beeinflussen, sowie über die unterschiedlichen Probleme, mit denen Kunstinstitutionen in den postsowjetischen Ländern konfrontiert sind.
(Konzeption: Anna T. Steffner de Marco)


Vasyl Cherepanyn (*1980, lebt und arbeitet in Kiew) ist Leiter des Visual Culture Research Center (VCRC) in Kiew. Er promovierte in Philosophie und war Dozent an zahlreichen Institutionen, darunter die Nationale Universität Kiew-Mohyla-Akademie, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Universität Helsinki, Freie Universität Berlin, Merz-Akademie Stuttgart, Universität Wien, das Institut für Höhere Studien der Politischen Kritik Warschau und die Universität Greifswald. Außerdem war er Visiting Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien. Cherepanyn ist Mitherausgeber des Guidebook of The Kyiv International (Kiew: Medusa Books, 2018) sowie '68 NOW (Berlin: Archive Books, 2019) und kuratierte die Projekte The European International (Rijksakademie van beeldende kunsten, Amsterdam) sowie Hybrid Peace (Stroom, Den Haag). Das VCRC ist Organisator der Biennale Kiew (The School of Kiev, 2015; The Kiev International, 2017; Black Cloud, 2019) und Gründungsmitglied der East Europe Biennial Alliance. 2015 erhielt das VCRC den Princess Margriet Award for Culture der European Cultural Foundation und 2018 den Igor Zabel Award Grant for Culture and Theory.

Oliver Marchart (*1968 in Wien, lebt und arbeitet ebenda) ist seit 2016 Professor für Politische Theorie an der Universität Wien. Von 2012 bis 2016 war er Professor für Soziologie an der Kunstakademie Düsseldorf, davor lehrte er von 2006 bis 2012 am Soziologischen Seminar der Universität Luzern. Marchart war u. a. Fellow am Kulturwissenschaftlichen Kolleg des Exzellenzclusters Kulturelle Grundlagen von Integration, Universität Konstanz (2016), am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien (2013), am Columbia University Institute for Scholars at Reid Hall (2005) und an der Maison des Sciences de l’Homme (École des Hautes Études en Sciences Sociales) in Paris (2005). Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Bereiche Politische Theorie, Gesellschaftstheorie, Demokratietheorie, politische Ideengeschichte, Soziale Bewegungsforschung und politische Diskursanalyse. Zu seinen zahlreichen Publikationen zählen u. a.: Conflictual Aesthetics. Artistic Activism and the Public Sphere (Berlin: Sternberg Press, 2019); Thinking Antagonism. Political Ontology after Laclau (Edinburgh: Edinburgh University Press, 2018); Das unmögliche Objekt. Eine postfundamentalistische Theorie der Gesellschaft (Berlin: Suhrkamp, 2013); Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben (Berlin: Suhrkamp, 2010).

Nora Sternfeld (*1976 in Wien, lebt und arbeitet in Hamburg) ist Professorin für Kunstpädagogik an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Sternfeld ist Kunstvermittlerin und Kuratorin und war von 2018 bis 2020 documenta-Professorin an der Kunsthochschule Kassel sowie von 2012 bis 2018 Professorin für Curating and Mediating Art an der Aalto University in Helsinki. Darüber hinaus ist sie Ko-Leiterin des /ecm – Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien, Mitglied im Kernteam von schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis, Mitbegründerin und Teilhaberin von trafo.K, Büro für Bildung, Kunst und kritische Wissensproduktion (Wien) und seit 2011 Teil von freethought, Plattform für Forschung, Bildung und Produktion (London). In diesem Zusammenhang war sie auch eine der künstlerischen Leiter*innen der Bergen Assembly 2016 und 2020 Fellow bei basis voor actuele kunst (Utrecht). Sternfeld publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Bildungstheorie, Ausstellungen, Geschichtspolitik und Antirassismus. Zu ihren Veröffentlichungen zählen u. a.: Das radikaldemokratische Museum (Berlin: De Gruyter, 2018); Kuratieren als antirassistische Praxis (Ko-Herausgeberin mit Natalie Bayer, Berlin: De Gruyter 2017); Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung: Transnationales Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft (Wien: Zaglossus, 2013); Das pädagogische Unverhältnis: Lehren und lernen bei Rancière, Gramsci und Foucault (Wien: Turia + Kant, 2009).

Dana Yahalomi (*1982 in Israel, lebt und arbeitet in Tel Aviv) ist seit 2011 alleinige Leiterin der performativen Forschungsvereinigung Public Movement, die im Dezember 2006 von ihr und Omer Krieger gegründet wurde. Public Movement untersucht und inszeniert politische Aktionen im öffentlichen Raum. Das Kollektiv studiert und kreiert öffentliche Choreografien, Strukturen sozialer Ordnung, offenliegende und verdeckte Rituale. Seit 15 Jahren erforscht Public Movement die Regulierungen, Politiken und Identitätsbildungen, die die Dynamik des öffentlichen Lebens und des öffentlichen Raums bestimmen. Public Movement gewann den Essential Art Prize (2021), den Rosenblum Prize (2017) und wurde für den Future Generation Art Prize am Pinchuk Art Center, Kiew (2014) nominiert. Die Arbeiten der Gruppe wurden auf zahlreichen internationalen Ausstellungen präsentiert, u.a.: M HKA Antwerpen (2020); Vistamarestudio, Mailand (Solo, 2018); Guggenheim Museum New York (2016); Tel Aviv Museum of Art (2015). Performances des Kollektivs wurde u. a. aufgeführt bei: Asian Art Biennial, Taipei (2013); Steirischer Herbst Festival, Graz (2012); Berlin Biennial (2012); New Museum Triennial, New York (2012); Gothenburg Biennial (2017), VanAbbemuseum, Eindhoven (2009-2011); Zacheta National Gallery, Warsaw (2008); Hebbel am Ufer, Berlin (2010).