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Nairy Baghramian, Von der Stange (Handlauf) / Off The Rack (Handrail) (2014), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Von der Stange (Handlauf) / Off The Rack (Handrail) (2014), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Beliebte Stellen / Privileged Points (2011), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Beliebte Stellen / Privileged Points (2011), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Von der Stange (Handlauf) / Off The Rack (Handrail) (2014), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Von der Stange (Handlauf) / Off The Rack (Handrail) (2014), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Beliebte Stellen / Privileged Points (2011), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Beliebte Stellen / Privileged Points (2011), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Von der Stange (Handlauf) / Off The Rack (Handrail) (2014), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Von der Stange (Handlauf) / Off The Rack (Handrail) (2014), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Beliebte Stellen / Privileged Points (2011), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014
Nairy Baghramian, Beliebte Stellen / Privileged Points (2011), Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, Foto: Jens Ziehe, 2014

Nairy Baghramian. Off The Rack

13. Dezember 2014 – 25. Januar 2015


Erdgeschoss

Kuratorin: Kathrin Becker


„Off the rack“ heißt so viel wie „von der Stange“, wie konfektioniert, wie „ready-made“. Als „von der Stange“ bezeichnet man Kleidung, die einem nicht auf den Leib geschneidert, sondern nach industriellen Standards in Serie produziert wurde. Was bei Kleidung das soziale Stigma verloren hat, bedarf bei Kunst immer noch eines guten Grundes: Die Aura des „Originals“ oder „Unikats“ ist, wenn auch oft in Frage gestellt, ungebrochen. Ein solch guter Grund ist eine Edition, die KünstlerInnen in der Regel produzieren, um notorisch unterfinanzierte Institutionen zu unterstützen. In unterschiedlich hohen Auflagen hergestellt, haben Editionen den Charakter von Waren und muten zugleich „demokratisch“ an. Die Hürde, eine Edition zu besitzen, ist ob ihrer relativen Erschwinglichkeit, geringer.


Editionen verirren sich selten in die Einzelausstellungen von KünstlerInnen. Zu ambivalent ist ihr Status als künstlerisches Werk, zu unklar ihr Verhältnis zu den „Originalen“, deren Kanonisierung – und damit Wertsteigerung – eine meist unausgesprochene Aufgabe jeder Institution ist. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, entwickeln Institutionen Standards, die den Umgang mit den ausgestellten Werken regeln und formalisieren: Standards der Sicherheit („Nicht berühren!“), Standards der Präsentation, Standards der Vermittlung. Auch dieser Text ist Teil jenes Rahmenwerks an Konventionen; wie etwa die Hängehöhe oder die Sockelposition setzt er Sie, die LeserInnen, in ein bestimmtes Verhältnis zum Werk, soll Ihnen „Anleitung“, „Stütze“ und „Hilfestellung“ zu dessen Verständnis sein.


Für die ökonomien, die die Produktion, Präsentation und Rezeption von Kunst bestimmen, will Nairy Baghramian in ihrer Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein sensibilisieren. Mit Von der Stange (Handlauf) (2014) und Beliebte Stellen (2011) führt sie zwei Arbeiten zusammen, die sowohl das Verhältnis von Edition und Unikat aufmischen wie auch die Rollen der Institution und der BetrachterInnen innerhalb dieser Aufmerksamkeits- und Verwertungsökonomien zur Diskussion stellen. Das exemplarische Display von Elementen aus beiden Arbeiten in einem der Schaufenster, mit denen der n.b.k. die öffentlichkeit auf sein Programm aufmerksam macht, ist die Eröffnungsfigur, die diese Reflexion anstößt.


Beliebte Stellen sind die luftig wirkenden, bogenförmigen Skulpturen betitelt, die im ersten Raum wie zufällig auf dem Boden und entlang der Wände verteilt sind. Zu Materie erstarrten Gesten gleich, behaupten die Objekte, Stellen zu identifizieren, die sich für die Präsentation oder Rezeption von etwas – die Frage bleibt offen – besonders gut eignen. Die Leichtigkeit ist allerdings eine fingierte: Was gummiartig anmutet, ist tatsächlich mit mehreren Schichten Kunstharz und Farbe umkleidetes Vollmetall – ein Prozess, der sich bei genauer Betrachtung an einzelnen Tropfspuren noch nachvollziehen lässt. Und auch das vermeintlich Zufällige trägt die Last der Geschichte: Ursprünglich für das Stedelijk Museum in Amsterdam konzipiert, rufen Baghramians Beliebte Stellen die historisch veränderlichen Konventionen des Ausstellens auf. Wesentliche Fragen wie räumliche Verteilung, wie Hängehöhen, wie Blickachsen, wie Mit-oder-ohne-Sockel knüpfen sich an die luftig-lapidaren Kringel. Jede dieser Entscheidungen nimmt Einfluss auf die Begegnung von BetrachterIn und Werk, kreiert Hierarchien, schafft aufmerksamkeitsökonomische Tatsachen. Baghramians Objekte markieren Stellen, an denen etwas oder jemand platziert sein sollte, und besetzen diese zugleich selbst. Kunstwerk, institutionelles Gefüge und BetrachterIn werden als eine Formation vorgeführt, die nur in ihrer jeweiligen Verhältnismäßigkeit produktiv reflektiert werden kann.


Sind die Beliebten Stellen Einzelstücke seriellen Charakters, so basiert Von der Stange (Handlauf) tatsächlich auf einer Edition, die die Künstlerin 2012 für die Gesellschaft für Moderne Kunst des Kölner Museums Ludwig produziert hat. Die Arbeit zeigt einen Handlauf, der im ersten Raum seinen Ausgang nimmt und sich – irgendwo zwischen Blick- und Griffhöhe angesiedelt – die Wände entlang durch den gesamten zweiten Raum zieht. Strenger anmutend als Beliebte Stellen, verfolgt die Arbeit doch ähnliche Strategien: Einmal mehr wird auf die Struktur des Raumes Bezug genommen (sein Grundriss wird gleichsam nachgezeichnet) sowie auf das körperliche Involviert-Sein der BetrachterInnen, deren Blick – um eine große Leere herum – die Wand entlang gelenkt wird. Die Hände, wenn auch explizit angesprochen, dürfen nicht zum Einsatz kommen. Von der Stange setzt sich aus Reproduktionen der Elemente der Kölner Edition zusammen: verchromte, mit Beton gefüllte Messingrohre unterschiedlicher Länge, die mittels metallic-blau gefärbter Aluminiumhalterungen an der Wand fixiert werden. Die titelgebende Redewendung, ursprünglich eine humorvolle Anspielung sowohl auf die Erscheinung der Arbeit wie auf ihren Status als Edition, bekommt hier einen potenziell nervösen Unterton. Ist es zulässig, aus einer Edition wieder ein „Werk“ zu machen? Bedeutet diese Verschiebung ein Werk „von der Stange“ und damit – ökonomisch betrachtet – einen Wertverlust? Oder mündet sie in eine Aufwertung der Edition, die nun gleichsam zum „Werk“ nobilitiert wird?


Die Editionen des n.b.k., die im Obergeschoss prominent präsentiert werden, schließen die Klammer, die Baghramian mit dem Schaufensterdisplay geöffnet hat. Die Fragen jedoch, die die Kippbewegungen und Perspektivwechsel der Ausstellung aufwerfen, bleiben programmatisch offen. Es sind Fragen nach den Strategien der Aufmerksamkeits- und Wertproduktion. Nach der Rolle von Institutionen sowie den Konventionen des Ausstellens, die die Erfahrung von Kunst wesentlich bestimmen. Nach dem Verhältnis von „Original“, „Serie“ und „Multiple“ und danach, wie es um das Nachleben – die Verwertbarkeit – von Arbeiten innerhalb einer künstlerischen Praxis selbst steht. Nicht zuletzt geht es Baghramian um skulpturale Möglichkeiten, diese Fragen zu stellen und Zuschreibungen zumindest temporär außer Kraft zu setzen – etwas eine Gestalt zu geben, das eigentlich keine hat.

Manuela Ammer



Programm Kunstvermittlung


Donnerstag, 15. Januar 2015, 19 Uhr

Zur Aktualität der Skulptur

Podiumsdiskussion mit Juliane Rebentisch (Professorin für Philosophie und Ästhetik, Hochschule für Gestaltung Offenbach), André Rottmann (Kunsthistoriker, Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz, Freie Universität Berlin), moderiert von Manuela Ammer (Kuratorin, museum moderner kunst stiftung ludwig wien)

Der Neue Berliner Kunstverein wird gefördert durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.